Der direkte Weg zur Wiesn fängt für den Arzbacher an der Haustüre an. Zu Fuß geht’s über den Isarweg nach Gaißach zur nächsten BOB-Station. Wie jedes Jahr stellt der BOB Fahrkartenautomat eine mittelschwere bis sehr schwere Herausforderung dar. Wieviel dürfen jetzt noch einmal mit dem Bayernticket mitfahren? ( Die Antwort: Fünf) Da die Wiesn nur einmal im Jahr ist, muss ein Großteil der Oktoberfest-Passagiere den Touchscreen nur um diese Jahreszeit bedienen. Geldscheine werden nicht angenommen, darauf hin noch einmal gedreht, glatt gestrichen und erneut eingesteckt. Kleingeld fällt durch, wird wieder einzeln eingesammelt und an Trachtenjankern gerieben (warum auch immer) und ein erneuter Versuch verzögert die Abfahrt und verlängert die Schlange hintern BOB Automat. Seltsamer Weise ist genau in dieser Schlange aber immer jemand dabei, der kulanterweise die Sache in die Hand nimmt und in relativ kurzer Zeit so viele Bayerntickets ausdrucken kann, dass beim Eintreffen der BOB alle doch noch rechtzeitig einsteigen können. In der BOB steigt dann die Vorfreude. Die ersten Wiesnbesucher sind schon in Lenggries eingestiegen, weitere folgen in Gaißach ( Gaißach hat gleich 2 Haltestellen!), Bad Tölz, Reichersbeuern…man erkennt sich. Jeder Isarwinkler trägt Tracht. Grüngestickte Lederhosen, grüngesamter Hut, handgestrickte Strümpfe und Hosenträger mit dem jeweiligen Gemeindewappen, manchmal auch den Initialen des stolzen Besitzers. Die Damen tragen wunderschöne und maßgefertigete Dirndl. Meistens eins zweiter Wahl, das für d’Wiesn scho langt, aber trotzdem immer noch seeehr gut weg kommt im Vergleich mit dem klassischen C&A Dirndl und anderen diversen Flatline-Anbietern. In Punkto Tracht ist der Isarwinkler überhaupt empfindlich. Harry G spricht uns allen aus der Seele! Hüte mit Pfauenfedern, Plastikdirndl oder rosa Kniestrümpfen gelten als persönliche Beleidigung. Der Isarwinkel verbindet Tracht als Ausdruck seiner Persönlichkeit. So schauts aus. Der klassische Isarwinkler fährt mit der BOB auch bis zur Donnersbergerbruck’n, nicht bis zum Hauptbahnhof und fährt eine Station S-Bahn und geht von der Hackerbücken aus die paar Meter zu Fuß zur Wiesn. Des macht ma einfach so. Dort angekommen, versetzt ihn das bunte Treiben immer wieder auf’s Neue in Erstaunen. So viele Leid, so an Haufn Fahrgeschäfte, so viele Zelte! Das größte Volksfest der Welt! Es wird ein bisserl herumgebummelt, vielleicht einmal Looping, Ketten- oder Weißbierkarussell gefahren, bevor es zu den reservierten Tischen ins Bierzelt geht. Nur zum Schaun fährt der Isarwinkler nämlich ned in die Wiesn, mit den Kindern eventuell, aber sonst nicht. Er hält sich meistens im Hacker, Schottenhammel, Bräurosl, Augustiner, in der Ochsenbraterei oder irgendeinem Paulanerzelt auf. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber im Marstall (ehemals Hippodrom) oder Käfer findet man ihn grundsätzlich und eigentlich nie. Auch nicht im Hofbräuhauszelt. Too international, da ist der Isarwinkler konservativ. Unter Umständen triffst du ihn noch in der alten Wiesn oder in einem der kleinen Zelte. Der Isarwinkler muss sich heimisch fühlen, sonst wird er grantig. Hat er aber dann sei Platzerl g’fundn, sitzt er und steht außer zum Bieseln nimma auf. Warum auch. Als Allererstes wird gegessen, bevorzugt traditionell ein Wiesenhendl und somit eine gscheide Unterlage geschaffen. Es dauert ein paar Maß, aber spätestens nach “Fürstenfeld” von STS oder Hubert von Goiserns “Brenna duat’s guat” steht der sonst so gemächliche Isarwinkler auf der Bierbank und ist mittendrin im Wiesenfeeling. Und wisst’s ihr wer des eigentlich olles macht? Wisst’s ihr eigentlich wer genau für dieses Wiesenfeeling verantwortlich ist? Na? Ja dann passt’s moi auf, i erzähl eich jetzt a Gschicht.
Er wohnt ganz oben tief im Herzen der Bavaria und nur weil wir ihn nicht sehen können ist er trotzdem da. Wo er sich das ganze Jahr über aufhält weiß keiner so genau, aber spätestens wenn die ersten Schausteller ihre Fahrgeschäfte aufbauen und die Zelte langsam wieder die gewohnte Form annehmen, spürt man, dass er irgendwo da draußen sein muss. Er ist spricht alle Sprache die es auf dieser schönen Welt gibt, ist verständnisvoll, sanftmütig. urlustig und herzensgut. Seine Anwesenheit wird immer präsenter und ist spätestens bis zum Wiesnauftakt mit dem Einzug der Wirte nicht mehr zu leugnen. Er ist der heilige Geist des Münchner Oktoberfestes, die Rede ist vom Wiesnspirit. Wenn am Morgen die ersten rotgelben Strahlen der aufgehenden Sonne auf die Bavaria runter strahlen, dann schleicht er sich langsam unter die Leute. Er zaubert den Standlbetreibern, den Musikern, den Bedienungen, den Straßen- und Heimkehrern…ein Lächeln ins Gesicht. So dass sie tatkräftig und gutgelaunt wieder an die Arbeit gehen. Die noch übrigen Wiesnbesucher begleitet er sicher bis zur nächsten U-Bahnstation oder er ruft ihnen ein Taxi, wenn sie es selber nicht mehr können. Wenn du dich zum Beispiel fragst, wie du gestern Abend von der Wiesn heimgekommen bist, dann kann ich dir sagen, da war ganz sicher der Wiesnspirit am Werk. Mittag sitzt er am liebsten in einer gemütlichen Münchner Runde. Adrette Rentner die ausschauen wie James Dean es jetzt tun würde und während der Mittagswiesn Schafkopfn, entspannte Damenrunden, die sich zum Ratschen dieses Mal ausnahmsweise im Bierzelt anstatt im Cafe Kugelhupf treffen oder auch der strahlende Japaner, der gerade genüsslich seine Weißwurst aussaugt und grinsend eine Brezen hinter herschiebt.
Der Wiesenspirt is einfach gern da, wo es zünftig ist. Wenn die Kinder nach der Schule oder dem Kindergarten vorbeikommen, dann freut er sich ganz besonders. Er fährt wilde Maus und Riesenrad, isst babige, rosa Zuckerwatte oder hilft ihnen, dass man beim Losestandl nicht nur Nieten hat oder auch dabei dass der Papa in der Schießbude besser trifft. Kinder sind für ihn sowieso das Höchste und wenn ihre Augen leuchten, dann geht ihm im wahrsten Sinne des Wortes das Herz auf. Er versucht, so gut es geht auf zu passen und wenn dann wirklich einmal ein Kind verloren geht, dann schaut er, dass es ganz schnell wieder zu seinen Eltern kommt. Aber trotzdem mahnt er, passt’s gut auf eure Kinder auf. Die Wiesn ist so groß und für ein Kind ist es eine mittlere Katastrophe, wenn es dort im Gewimmel verloren geht.
Am späten Nachmittag füllen sich die Zelte mit Leuten aus nah und fern, ja aus der ganzen Welt. Der Wiesenspirit wartet geduldig am Eingang eines jeden Zeltes und passt auch da wieder auf, dass alle Gäste entspannt zu ihrem Sitzplatz kommen und ihre erste Maß in angenehmener Gesellschaft einnehmen können.
Wenn die Musik zum Spielen anfängt, die Menschen singen und lachen, dann wartet der Wiesenspirit auf seinen großen Moment. Darauf das sich alle Herzen ganz weit für ihn öffnen!
Genau in diesem Augenblick transformiert der Wiesnspirt dieses Gefühl der Einheit und der Heiterkeit in ein ganz universal, verbindendes Urgefühl, das seinem eigenen Wesen am allermeisten entspricht. Dem einzig und wahren Wiesnspirit! Fremde Menschen liegen sich in den Armen, jeglicher Groll den man vielleicht gerade noch gegen seinen Sitznachbaren hegte, hebt sich auf, man schwebt regelrecht auf der Woge der Glückseligkeit, vergisst Zeit und Raum und lässt sich einfach mit diesem Gefühl treiben. Jeder der es schon einmal erlebt hat, weiß, dass es eigentlich nicht zu beschreiben ist. Wenn das Gefühl sich über die ganze Theresienwiese ausgebreitet hat, dann hockt er ganz oben in seiner Bavaria und schaut runter. Überglücklich, dass er es wieder einmal geschafft hat Grenzen zu überwinden, Menschen zu verbinden, Herzen zu öffnen. Manches Mal hat jemand gemeint, er hat ihn gesehen, den Wiesenspirt. War es auch nur ein flüchtiger Moment, ein glückliches Pärchen, dass sie gerade gefunden hat, ein lächelndes Kind, das einen Luftballon an der Hand hält, eine selige Oma, die ein Herzl mit “bester Oma” umhängen hat. Schau genau hin, dann siehst du ihn den Wiesnspirt. Er ist da, überall und auch in dir, wenn du das möchtest.
Spätestens wenn um 23 Uhr die letzten Gäste das Zelt verlassen, dann geht er auch langsam heim. Sorgt hier und da noch dafür, dass manche Raufereien gut ausgehen, dass Streitigkeiten doch noch ein gutes Wort am Ende finden und weil er weiß, dass er nicht alles ändern kann, kann er sich auch für ein paar kostbare Stunden zur Ruhe legen.
Auch der Isarwinkler geht langsam heim, vielleicht bleibt der ein oder andere noch im Weinzelt hängen. Im Grunde aber meidet der Isarwinkler die Wiesn nach Mitternacht, wie der New Yorker den Central Park um diese Zeit. Er ist froh, wenn er die letzte BOB schafft und wieder auf den Weg nach Hause ist. Schnell noch eine Fischsemmel oder einen Steckerlfisch gekauft oder gebrannte Mandeln und Magenbrot für die Daheimgebliebenen. Ein konserviertes Stückerl vom Wiesnspirit. Müde, aber erfüllt vom Selbigen und von dem Gefühl, dass er genau weiß, wo er hingehört. Und weil sich in der letzten BOB wieder alle treffen, vereint und glückselig, gibt es ihn ganz sicher auch, den Isarwinkler Spirit, da bin ich mir ganz sicher. Kleiner, nationaler, aber trotzdem allumfassend.
Ich wünsche dir, dass du bereit bist für den Wiesnspirit und das seine Kraft auch dieses Jahr wieder ausreicht für eine friedliche Wiesn. Ich wünsche dir, dass es dich berührt und so erfüllt, dass du dieses Gefühl das ganze Jahr über bei dir trägst und von ihm zerrst. Bis zur nächsten Wiesn. Aber noch sind wir mittendrin…
aus ganzem Herzen M.