Auf Wiedersehen Mama

Liebe Mama,

du hast Blumen so geliebt und wie gerne hätte ich dir heute einen bunten Wiesenblumenstrauß an dein Fenster gestellt und dir zum Muttertag gratuliert. Wahrscheinlich hättest du dann gelächelt, wie immer und ich hätte dich anstelle großer Worte, die du längst nicht mehr verstehen konntest, in den Arm genommen. Doch wieder einmal kam es anders, als wir es alle erwartet haben.
So wie damals als es anfing, dass dein Gehirn plötzlich alles durcheinander brachte und dein Gedächtnis dich im Stich ließ. Du hast immer häufiger Tag und Nacht miteinander vertauscht oder Uhrzeiten und Geburtstage verwechselt. Wir haben die Anzeichen nicht gesehen, sondern mit dir gemeinsam darüber gelacht, so als wären es nur kleine Missgeschicke. Als wir im Herbst vor vier Jahren zusammen im Betriebsurlaub waren, hast du uns verloren. Eine unendlich lange Nacht haben wir dich in ganz Koblenz gesucht. Du bist über 12 Stunden und bis zum frühen Morgengrauen, die viele Kilometer den Rhein entlang gelaufen und nur zufällig an einer kleiner Polizeidienststelle vorbeigekommen, an der man dich erkannt hat. Als wir dich besorgt und doch überglücklich von dort abholten, erzähltest du uns von deiner schönen Wanderung an der Isar. Du warst nass und so durchgefroren und von dem Augenblick an war mir sonnenklar, dass irgendwas gravierend nicht stimmte. Dann ging alles ganz schnell. Krankhausaufenthalt. Diagnose Alzheimer Grad mittelschwer. Wir konnten es kaum glauben. Warum nur hatten wir das nicht gesehen? Wir holten dich so schnell wie möglich nach Hause und in der gewohnten Umgebung, ging es tatsächlich wieder schnell aufwärts. Beinahe so, als wäre nichts gewesen. Doch in Wahrheit schlich sich die Krankheit mit jedem Tag mehr in dein Leben. Doch die Nacht in Koblenz ließ mich einen wichtigen Entschluss fassen. Ich wollte unbedingt den ganzen langen Weg mit dir zusammen gehen, wie auch immer er aussehen mag. Ich hatte eine riesengroße Angst davor, aber keine Zweifel, dass es möglich wäre. Meine Liebe für dich und Papa war einfach viel zu tief, als dass es eine andere Option gab.
Dann sind wir einfach losgegangen. Jeden Tag einen kleinen Schritt, der uns näher zusammen, aber dich immer weiter weg von uns brachte. Das große Ziel immer vor Augen, dein Leben bis zum Schluss so lebenswert wie möglich zu gestalten.
Heute vor einer Woche bist du ganz plötzlich gegangen. An einem strahlenden Sonntag im Mai, kein halbes Jahr nach Papa und ich habe dir leise zugeflüstert: “Wir haben es geschafft.” Denn unser großer Wunsch wurde erfüllt, dein Leben war bis zum Ende wunderschön. Ich hätte dich so gerne noch bei uns behalten. Du warst ein Geschenk und ich/wir werden dich sehr vermissen! Wir haben so viel voneinander gelernt und der Demenz ihren Schrecken genommen, bis wir keine Angst mehr vor ihr hatten. Sie hat sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, um uns heraus zu fordern, doch nicht mit unserer Liebe zueinander gerechnet. Ein Herz wird nicht dement, wie sehr das stimmt.
Ich bin unendlich dankbar für die Zeit mit dir. Dafür dass ich bis zum aller letzten Augenblick bei dir sein durfte. Für die vielen kleinen, liebevollen Rituale, die so bedeutsam für uns wurden. Für den engen Kreis an Familie und den treuen und liebenswerten Menschen, die uns durch die ganze Zeit trugen. Ich habe jede noch so kleine Erinnerung an dich, wer du warst und bist sorgfältig und behutsam in mir gespeichert. Dort sind sie gut aufgehoben, bis wir uns irgendwann wiedersehen. Davon bin ich überzeugt. Das weißt du ja.
Es war klar, ich muss schreiben. Vielleicht auch deswegen, weil ich möchte, dass du nicht vergessen wirst. Oder weil ich es wichtig finde, dass man darüber redet. Denn wenn es einen einzigen Mensch da draußen gibt, dem es ein Stück von der Angst nimmt, dann ist es das wert. Es ist nicht so schlimm den Verstand zu verlieren, wie wir denken, solange die Liebe bei uns bleibt. Und ich schreibe auch, weil ich finde, das mit uns war wirklich bedeutsam. Du warst von Liebe umgeben, als du gehen durftest und bist es umso mehr, dort wo du jetzt sein darfst.
Richte Papa einen schönen Gruß von mir aus und sei dir sicher, ich hätte mir keine besseren Eltern wünschen können. Der Gedanke, dass ihr beide jetzt im Himmel zusammen seid, tröstet uns alle ungemein.
Alles Gute zum Muttertag liebe Mama, danke aus ganzem Herzen für alles. ❤ Hast du die vielen schönen Blumen gesehen? Sie sind wirklich alle für dich.
In unendlicher Liebe und tiefer Dankbarkeit,
deine Michi❤❤❤
P.S. Hat das mit dem Motorradfahren und Papa geklappt? Ich hoffe doch sehr…


2 thoughts on “Auf Wiedersehen Mama

  1. Liebe Michi,
    was für wunderschöne Worte.
    Den Satz „ein Herz wird nicht dement“ kann nur jemand schreiben, der alles erlebt hat.
    Du sprichst mir aus der Seele und dem Herzen.
    Genau das ist es, was als Verbindung bleibt.
    Ich umarme Dich und „weine“ mit Dir.
    Ich „habe“ meine Mama noch.
    Körperlich und ihr Herz.
    Das Ende macht mir Angst und ich habe auch keine Vorstellung, an was genau man mit dieser Krankheit eigentlich stirbt.
    Aber ich denke nicht dran und genieße jedes Lachen und jede Umarmung mit ihr.
    Da darf ich wieder „ihre Kleine sein“.
    Ganz liebe Grüße
    Deine Astrid (aus Nürnberg)

  2. Liebe Astrid, danke dir sehr für deine lieben Worte, die mich auch sehr berühren, gerade weil ich ja deine Geschichte auch kenne. Ich schreibe dir sobald ich ein bisserl Zeit finde eine Nachricht und umarme dich bis dahin aus der Ferne. Alles, alles Liebe zu dir und Hans.

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