(M)ein Leben ohne Handy

(M)ein Leben ohne Handy

„Gib mir mal kurz deine Handynummer…“ Diesen Satz habe ich in dieser oder ähnlicher Form schon oft gehört und immer ist meine Antwort die gleiche: „Geht leider nicht, denn…ich habe gar kein Handy.“

Nicht erst seit Kurzem und auch nicht weil ich mehr „Quality Time“ in mein Leben einladen will, auch nicht weil ich fest gestellt hätte, dass ich viel zu viel Zeit mit Whatsapp oder Scrollen der neuesten Facebook News verbringe. Es war im Grunde anfangs auch gar keine bewusste Entscheidung und es ist auch nicht so, dass ich noch nie ein Handy hatte. Ich hatte es wirklich aufrichtig versucht. Doch irgendwie wurde ein Gefühl immer stärker:  Das Handy (vom Smartphone ganz zu schweigen) und ich, wir passen einfach nicht zusammen. So wie wenn man eine Beziehung eingehen würde, die man eigentlich gar nicht will. Wenn man sich dann davon verabschiedet, tut es nicht mal richtig weh. Im Gegenteil man fühlt sich frei und kann völlig losgelöst wieder genau dorthin gehen, wo es einen wirklich hinzieht. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich tatsächlich einmal einen Beitrag darüber schreibe und schon gar nicht, dass ich einmal ein Exot sein werde, weil ich ohne Samsung oder I-phone durch die Welt spaziere. Aber hier ist die ganze Geschichte und wie es dazu kam oder eben nicht dazu kam. Der wahre Grund warum die Beziehung Handy und ich beidseitig vorteillos war und warum letztendlich auch das Smartphone nie wirklich bei mir sein wollte.

Ich bin 1980 geboren und hatte so praktisch eine Kindheit und Jugend ohne Handy verbracht. Mein erstes Handy hat mir mein Papa zu meinen 21. Geburtstag geschenkt. Damals arbeitete ich gerade in einem Hotel in der Schweiz und die Handysache kam gerade so auf. Anfangs speicherte ich gewissenhaft alle Nummern von Bekannten und Freunden ein und überschritt mit Leichtigkeit das monatliche Kontingent an Frei-SMS. Erreichbar (das war der Plan des Geschenks) war ich trotzdem nicht. Entweder weil ich arbeiten war, beim Skifahren oder abends ins Nachtleben von St.- Moritz untergetaucht bin. Bei letzteren hatte ich dann mein erstes Handy verloren.  Ich hatte es in irgendeiner Bar liegen lassen und nicht einmal mehr danach gesucht.

Mein Papa ließ nicht locker. Bei jedem weiterem Auslandsaufenthalt drückte er mir nun sein Handy in die Hand und ich schickte zumindest regelmäßige SMS über mein Befinden zu den besorgten Eltern nach Hause. Meine Verwandten und Freunde zu Hause antworteten in Telegrammform und informierten mich über die wichtigsten News im Tölzer Land. Das war ein guter Deal und zugegeben auch äußerst praktisch, denn mir lag ja auch viel daran zu wissen, ob zu Hause alles in Ordnung war.

Als dann ein längerer Aufenthalt in Südamerika ins Haus stand, hat mein Papa nicht mehr mitgespielt und mich kurzerhand zum Handyshop nach Bad Tölz geschleppt. Er kaufte mir ein Zweiband, Breitband ach-weiß-ich-was-Handy, jedenfalls eins bei dem ich ganz sicher überall in Südamerika erreichbar sein würde. Sollte in Arequipa ein Erdbeben sein oder einer der drei Vulkane ausbrechen, dass dachten meine Eltern nämlich insgeheim. In Peru bekam ich dann von meiner damaligen Spanisch-Lehrerin Claudia eine Simcard. Somit hatte ich ein peruanisches Handy und von nun an konnte man mich mit passend gegoogelter Billigvorwahl überall jenseits der Anden kostengünstig anrufen. Doch dann passierte etwas Seltsames. Durch die zahlreichen Internetcafés konnte ich jeden Tag schreiben. Und ich schrieb. Und schreib. Ellenlange Emails, Texte, Gedichte und handgeschriebene Briefe. Mit kleinen Coca-Blättern drin (ich bin mir nicht sicher, ob man das durfte, aber sie sind alle angekommen) bunten Peru-Mützen oder warmen Alpakasocken für die Daheimgebliebenen. Das Schreiben wurde mein liebstes Abendritual. Meine Verbindung nach Hause, mein Anker, während ich immer tiefer in das bunte Meer dieser mir fremden, aber so lieb gewonnenen Kultur eintauchte.  Aus der Heimat bekam ich ebenfalls sieben (!) riesengroße Weihnachtspakete über den Atlantik zu geschickt. Ich musste jedes Mal stundenlang am Postschalter warten, ehe ich es in Empfang nehmen durfte. Denn anders als bei uns, werden Pakete ab einem bestimmten Gewicht nicht mehr zugestellt. (Ich mutmaße das hat mit der Größe der Autos und Peruaner zu tun;-) Selten hatte ich mich so über Weihnachtsgeschenke gefreut wie damals. Ach was heißt gefreut, ich habe mich gar nicht mehr ein bekommen, so toll war das! Da ich mit meinem Rucksack noch weiterreiste, verschenkte ich das Meiste an Einheimische aus Arequipa. Geteilte Freude, doppelte Freude! Absolut. Ich schickte weiterhin brav jeden Tag die obligatorische SMS nach Hause, aber telefoniert hatte ich fast gar nicht mehr. Das ist dieser Tatort-Effekt. Kennst du das? Wenn du im Urlaub den Fernseher anschaltest und unverhofft ein deutscher Kommissar über den Bildschirm huscht. Da muss ich sofort ausschalten. Lieber schaue ich spanische Nachrichtensender und verstehe kein Wort! Doch keinen störte es wirklich, dass ich mein Handy meistens gar nicht an hatte oder ich nicht ran gehen konnte, weil es wieder irgendwo ganz tief unten in meinen vollgepackten Rucksack verstaut war. Und es war wunderbar! Meine Abendbeschäftigung blieb das Schreiben. Aber ansonsten wollte ich mich ganz dem Land hingeben, welches ich gerade durchreiste und das ja so viel von mir einnahm. Ich wollte da sein mit allen Sinnen und aus ganzem Herzen.

Als ich wieder zu Hause war, glich mein Kopf einem triefend nassen Schwamm, der bis zum Rand mit unzähligen Eindrücken gefüllt war. Ich war aufgewühlt, durcheinander. Weil ich etwas spürte, von dem ich selbst noch nicht heraus gefunden hatte was es war, nur eben das sich in diesem Augenblick alles für immer veränderte. Mein Handy lag unaufgeladen und wertlos in einer Schublade. Ich hatte es völlig vergessen und musste es richtig suchen, als ich es einmal mitnehmen wollte, weil ich mich mit Freunden auf dem Oktoberfest verabredet hatte. Wir hatten zwar einen Treffpunkt ausgemacht, aber nur für den Fall aller Fälle. Wirklich gebraucht hatte ich das Handy den ganzen Abend sowieso nicht. Warum auch. Wir hatten solchen Spaß!  Beim Nachhauseweg ist es dann doch passiert. Wir hatten uns alle aus den Augen verloren. Und ich weiß ihn noch ganz genau diesen Moment. Ich stand vor der S-Bahn und kramte das Handy aus der Schürzentasche meines Dirndls und…flupps…es fiel mir aus der Hand direkt vor die Bahngleise. Für einen Augenblick blieb ich fassungslos stehen und bedauerte meinen Verlust. Wie beim Schluss machen einer nicht allzu bedeutungsvollen Liebe. Plötzlich erinnert man sich an die guten Zeiten miteinander und es entsteht eine fast romantische, rührige Abschiedsstimmung, nach der man sich die ganze Zeit über immer gesehnt hatte. Ein älterer Herr in Tracht neben mir, hatte die Sentimentalität der Situation erkannt und sprach in ruhigem Münchner Dialekt besänftigend auf mich ein: „Ach mei Madl, es ist doch nur a Telefon. Los einfach liegn. Des konn ma ja wieder nachkaffn“ Mit seiner Art wie er auf mich einredete und die Hand dabei beschützend auf meine Schulter legte, wirkte er wie ein professionell geschulter Feuerwehrmann der jemanden vom Springen einer Brücke und damit vor dem drohenden Suizid abhalten wollte.  Fakt ist, ich wäre NIE nach gesprungen oder hätte anderweitige Zurückholungsaktionen gestartet. Ich stieg einfach in die heranfahrende S-Bahn, wohl wissend dass sie gleich über mein Handy rollen wird. Der Mann in Tracht winkte mir erleichtert durch die Fensterscheibe der S-Bahn zu. Er hatte ja keine Ahnung wie froh ich in Wirklichkeit war. Da wusste ich, das war’s. Mein Handy und ich, wir kommen nicht mehr zusammen. Nie wieder. Unsere Liebe ist einfach nicht groß genug.

Doch sie ist groß genug zum Briefe schreiben. Groß genug zum Schreiben überhaupt, wie für diesen Beitrag zum Beispiel. Diese Liebe vertraut bedingungslos der Intuition, weil sie weiß, dass die „richtigen“ Menschen zum „richtigen“ Zeitpunkt ausnahmelos immer aufeinander warten und sich finden werden. Sie glaubt daran, dass wir alle miteinander verbunden sind und immer dann, wenn es leise genug ist, wir uns tatsächlich hören können. Unsere Gedanken und unsere wahre Gefühle. Und meine Liebe möchte frei und nicht ab-oder anrufbar sein, vom Zufall geleitet und vom Unvorhersehbaren beflügelt. Sie ist hoffnungsvoll romantisch. Unterm Sternenhimmel, bei echten Momenten und immer dann, wenn etwas so schön ist, dass es sich nicht in Bilder festhalten lässt. Meine Liebe liebt ihrer selbst Willen und glaubt daran, weil sie weiß, dass es wahr ist.

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Versteht mich nicht falsch. Es ist nicht so, dass ich den Fortschritt den ein Smartphone bietet generell  nicht für gut heiße. Im Gegenteil. Es hat uns alle weit gebracht. Wenn wir dieses wertvolle Medium auf die richtige Art und Weise nützen, rücken wir dadurch sogar noch näher zusammen. Auch ich hätte oft gerne ein Smartphone gehabt. Bei Autopannen, beim Abkommen vom Weg auf einer Bergtour zum Beispiel…doch dann ist immer etwas passiert, was mich wieder gerettet hat. So wie es früher auch schon immer war. Es ist einfach zu stark in mir verwurzelt – dieses grenzenlose Urvertrauen. In die Menschen, in die Welt und auch in mich. Wie sehr ich mich doch darin aufgehoben fühle! Ich glaube einfach mein Fall ist speziell. (Aber das ist ja jeder) Tagtäglich klingelt gefühlt tausend Mal am Tag das Telefon. Hunderte von Nachrichten blinken am rund um die Uhr laufenden PC und sollten idealerweise gleich noch kurz beantwortet werden. Durchschnittlich über 28 000 Gäste besuchen im Jahr den Arzbacher Hof. (Wir hatten uns diese Zahl einmal hoch gerechnet) Was wunderbar ist. Wir lieben das. Nur ist es für mich schon fast überlebenswichtig, auf der anderen Seite diese grenzenlose Freiheit zu besitzen und eben nicht ständig abrufbar zu sein. Eine Freundin von mir sagte einmal. „Es ist seltsam, du bist für mich trotzdem immer erreichbar.“ Und meine Antwort ist: “Immer wenn ich spüre, du brauchst mich. Immer wenn du bei mir sein möchtest und ich bei dir. Weil es mir wichtig ist. Siehst du, ich brauche gar kein Handy. Weil es mir nicht wichtig ist.”

Ich wünsche dir, dass du dich immer mehr auf dich, wie auf dein Smartphone verlassen kannst. Dass du immer das Gefühl hast mehr zu versäumen, wenn du deine Welt über das Display deines Handys betrachtest, als anders herum und dass du mit den Menschen die du liebst in Verbindung bist, egal ob der Akku geladen ist oder nicht. Dass du immer noch am allerliebsten in das Gesicht des Menschen der dir gegenüber steht schaust und erkennen kannst ob es im gut geht oder nicht. Weil das nicht so einfach ist, wie sich hinter einem Smiley zu verstecken und weil eine echte Umarmung einfach immer noch am allerbesten ist.

Aus ganzem Herzen, deine M.